Unternehmen brauchen ein neues Verständnis ihrer Wertschöpfungsprozesse und Kundenbeziehungen. Auch Veränderungen der Arbeitskultur sind unvermeidbar.

Die Digitalisierung nimmt zu und mit ihr die Bedeutung des „Faktors“ Kunde. Eine konsequente Kundenorientierung ist zwar seit vielen Jahren in der Diskussion. Die anhebende digitale Transformation hat jedoch zu einer erheblichen Dynamisierung der Debatte geführt. Diese schlägt sich in den neuen Shopsystemen des Onlinehandels ebenso nieder wie auf Fintechplattformen oder in innovativen Analytics-Verfahren. Im Zentrum steht die Ausrichtung aller Wertschöpfungsprozesse an den Interessen der Kunden. Diese werden in Zukunft voraussichtlich erheblichen Einfluss auf unternehmerische Kernprozesse wie Marketing und Unternehmenskommunikation haben, aber auch auf die Produktentwicklung oder sogar auf die klassischen Produktionsprozesse. Die Gründe für diesen Trend liegen in der zunehmenden Verfügbarkeit und Transparenz von Daten und ihrer steigenden Relevanz.

Daten als Erfolgsfaktor

In der digitalen Welt sind Daten hochgradig transparent, und schlechte Qualität lässt sich nicht mehr verstecken. Zugleich hinterlassen die Kunden immer mehr digitale Spuren und geben mit diesen Daten Einblicke in ihre Präferenzen. Beide Faktoren führen zu einer neuen Form der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden. Diese lässt sich beispielsweise für Serviceprozesse, die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen oder die sogenannte Co-Creation von Inhalten nutzen. Entsprechende Interaktionsmöglichkeiten erwartet der digitale Kunde bereits heute. Unternehmen, die diesen Erwartungen nicht entgegenkommen, erhalten weniger Informationen als ihre Wettbewerber, können ihre Marktaktivitäten nur schwach an den Kundeninteressen ausrichten und mindern so ihre Erfolgschancen. Die Relevanz der Daten wird weiter steigen, und so werden sich Anbieter verstärkt bemühen, die Kundenschnittstelle zu besetzen. Durch das Internet der Dinge können sie intelligente Systeme rund um ihre Kunden aufbauen, die in Echtzeit granulare Informationen über die Nutzer liefern. Die detaillierte Kenntnis individueller Verhaltensweisen, beispielsweise bei der Produktnutzung, bietet Chancen für neue digitale Serviceangebote. Beispiele dafür sind bereits im vernetzten Fahrzeug oder im Bereich Smart Home zu beobachten. In der Industrie und im produzierenden Gewerbe können die Daten zur Grundlage für komplementäre Dienstleistungen werden. Hersteller von sensorbestückten Pumpen etwa können neben den Maschinen auch deren Überwachung und vorausschauende Pflege anbieten. Die Zukunft unter der Maßgabe Industrie 4.0 wird sich um eine vollständige digitale Vernetzung physischer Produktionsanalagen sowie eine tiefe Einbindung der Kundenpräferenzen in den Entwicklungs- und Produktionsprozess drehen.

Mehr Dynamik

Auf diesen Wandel müssen sich Unternehmen vorbereiten, vor allem durch den Aufbau geeigneter struktureller, prozessualer und kultureller Ausgangsbedingungen. Die klassische funktionale Organisation mit ihren Abteilungs- und Wissenssilos hat kaum noch Zukunft. Gefragt hingegen sind fluide, netzwerkartige Strukturmodelle mit dynamischen Personalbeständen und Prozessen. Entsprechende Ansätze werden heute bereits unter Stichworten wie „Schwarm- und Projektorganisation“ diskutiert. Dabei sind zwingend auch die individuellen Kompetenzen aus Mitarbeitersicht auszubauen. Bosch beispielsweise bietet seiner Belegschaft bereits heute rund 100 Arbeitsmodelle. Je nach Studie werden digitale Technologien in den kommenden fünf bis zehn Jahren zwischen 30 bis 50 Prozent der heutigen Berufsbilder ganz oder teilweise automatisieren. Die zunehmende Kundenorientierung wird sich daher auch gravierend auf interne Strukturen und Berufe auswirken.

AUTOR: PROF. DR. ALEXANDER ROSSMANN HAT DIE PROFESSUR FÜR MARKETING UND VERTRIEB IM RESEARCHLAB FOR DIGITAL BUSINESS DER HOCHSCHULE REUTLINGEN INNE